Je weiter die Fallzahlen der aktiv an Covid-19 erkrankten Personen sinken und die Zahl der Genesenen steigt, desto lauter werden die Rufe zur Rückkehr in die altbekannte Normalität. Stellt sich die Frage, ob wir als Gesellschaft nicht lieber den Schritt nach vorne wagen sollten, als den zurück. Nach vorne, in eine neue Normalität.
Es hat eine noch unheilbare Krankheit gebraucht, um offensichtlich zu machen, wo die Schwachstellen in unserem System sind und wer die Systemerhalterinnen* und Heldinnen* des Alltags sind, welche unsere Gesellschaft zusammenhalten. Der ihnen gebührende Applaus auf den Terrassen und Balkonen verhallt langsam, ihre Ausbeutung, maximale Belastung und unfaire Lebensrealität bleibt erhalten und verschärft sich.
Viele dieser Systemerhalterinnen* sind Eltern, einige von ihnen alleinerziehend. Eine Rückkehr in die alte Normalität bedeutet zwar für sie, dass sie die Last der Kinderbetreuung nicht mehr alleine stemmen müssen, sondern wieder von Pädagoginnen* so gut es geht dabei unterstützt werden. Sie bedeutet aber auch, die Rückkehr in den altbekannten Arbeitsalltag. Zurück in die 12-Stunden-Arbeitstage, zurück in den Stau am Morgen und am Abend, zurück in den Stress des Alltags und den Verbleib in Anstellungsverhältnissen, welche oftmals weder ihre eigene Zukunft noch die ihrer Kinder absichern.
Und für ihre Kinder bedeutet das, den Verbleib in einem marodem Bildungssystem. Zurück in Bildungseinrichtungen, die nicht dazu in der Lage sind zeitgerechtes Wissen, Können und Fähigkeiten zu vermitteln oder zu fördern und Lernen unter Chancengleichheit verunmöglichen. Zurück in überfüllte Züge, Busse und Bahnen, zurück zum ewig langen Warten, auf eine Öffi-Verbindung in die Schule und wieder nach Hause.
Diejenigen unter ihnen, die schon an der Türschwelle zum Berufsleben stehen, sehen sich vor der Herausforderung, überhaupt einen Job zu finden. Wenige glückliche haben die Möglichkeit Berufe auszuüben, welche sie interessieren, erfüllen und weiterbringen. Ein viel zu großer Anteil muss sich aber entscheiden, zwischen Dumpinglöhnen, Prekariat und Mehrfachbelastungen.
Denn die Rückkehr oder viel mehr der Verbleib in der alten Normalität, lässt Arbeitgebern weiter Tür und Tor offen, wirtschaftliches Interesse im Sinne eines utopischen, unendlichen Wachstums gegen menschliche Grundbedürfnisse und eine sichere und gesunde Umwelt auszuspielen. Eine Normalität, in welcher Unternehmen Wirtschaftlichkeit, gerechte Arbeitsbedingungen und Ökologie nicht unter einen Hut bringen können (oder wollen), ist nicht wert in ihr zu verbleiben, weil sie lediglich ein System erhält, welches wenigen viel und vielen wenig bringt.
Anstatt der Rückkehr in die alte Normalität entgegenzufiebern, müssten wir unser Bestes geben, eine neue zu schaffen. Eine Welt in der eine intakte Umwelt und die Gesundheit aller Lebewesen vor Gewinnmaximierung und Größenwahn steht. Eine Welt in der solidarischer, fairer und wertschätzender Umgang zwischen Menschen und Umwelt die Normalität ist.
Eines ist klar, eine neue Normalität wird es nach überstandener Pandemie brauchen. Die alte darf es nicht mehr länger geben!